Schmeissen Sie endlich dieses Wort weg: Wertschätzung


Es gibt wenig Begriffe, die im Zusammenhang mit Führung so einen Stuss produzieren wie Wertschätzung. Einmal mehr ein Begriff, der zum Etikettenschwindel herhalten muss.

Es wird nicht richtiger, weil alle irgendwas nachplappern. Rule of thumb: was allen gefällt ist sicher falsch.

Und wenn Sie das Wort schon nicht wegschmeißen wollen (weil Ihr Unternehmen 6-stellige Beträge in das Kulturonboarding oder ähnliches versenkt hat), dann rebooten Sie die Nutzungsroutine dafür, bitte.

Falsche Messstelle: Der Empfänger

Wenn ein Mitarbeiter, Kollege, Ehepartner, sonstiger Partner diesen einen Satz sagt — egal, ob in Moll, Dur, laut, leise, mit Tränen oder dem Messer in der Hand, alles ist aus. Vorbei. Er sie es hat gesagt, »Ich.fühle.mich.nicht.wertgeschätzt.«

Alles ist aus. Der Chef? Ein gefühlskastrierter Choleriker, Versager, Misanthrop. Nur wer wertschätzend lebt, lebt gut, für den arbeiten alle gern und rumsfidibums ist das Unternehmen geil, die Stimmung super.

Spirale des Wahnsinns

Denken wir den Dialog mal weiter. Derjenige, der den Nicht-Wertgeschätzt-Fühler (NWF) jetzt bemüht anders anspricht, der kann? Genau: Es.nur.falsch.machen. Denn jetzt sagt der andere »Schon, aber irgendwie bleibt da noch ein großer Zweifel, ob Du es ehrlich meinst. Da kommt noch kein Gefühl von Wertschätzung auf.«

Zwei Wochen später — der NWF kommt zum achtmal zu spät. »Sie müssen an Ihrer Pünktlichkeit arbeiten, die anderen Kollegen könnten anfangen zu hinterfragen, warum sie eigentlich pünktlich kommen.« Sie ahnen es: »Also ich bemüh mich so, ich fühle mich wieder nicht wertgeschätzt.« Irre! Das geht so nicht!

Ein Erwartungs-Recht ist Machtmissbrauch

Wertschätzungskultur — wenn ein Führungsverantwortlicher so was installiert, dann verstößt er gegen sämtliche Verantwortungen und Verpflichtungen gegenüber dem, der ihm seine Brötchen (und hoffentlich ein wenig mehr) bezahlt: den Arbeitgeber, das Unternehmen.

»Ich fühle mich nicht wertgeschätzt« ist die Blaupause, sich nicht an Anweisungen zu halten, sich aufzuführen wie Rotz am Ärmel und keinen Grund zu Veränderung zu sehen.

Denn: Selbst wenn der rote Teppich ausgerollt, gesaugt, desinfiziert und PCR-getestet ist: ohne Wertschätzung? Na, NIX!

Wertschätzung ist zu einem Erwartungs-Recht geworden. Der NWF darf sich moralisch überlegen fühlen. Er fühlt sich nicht, also sind die anderen schuld, wertschätzungslos ihm gegenüber.

Das ist doch Wahnsinn. Wer zum 8ten mal unpünktlich ist, der wird abgemahnt, plain and simple.

Was riecht wie Kacke, sich anfühlt wie Kacke, aussieht wie Kacke und — das mit dem Schmecken lassen wir —, ist? Kein!Nutella! Also, was soll das?

Perspektivenwechsel: Worum geht es?

Nähern wir uns dem ganzen doch mal anders und fangen wir bei dem Wort an. Wert-Schätzung. Die zweite Worthälfte ist immer die Basis. Also: Schätzung. Was? Erster Wortbestandteil: Wert. Also Schätzung. Beliebig. Subjektiv. Uneindeutig. Wandelbar.

Die andere Wert-Schätzung

Natürlich gibt es Wert-Schätzung. Mit die Wichtigste in einem Unternehmen ist: das Gehalt für eine Leistung.

Jemand hat Ausbildung (oder nicht)+Erfahrung+Persönlichkeit. Dafür vertraut ihm der Arbeitgeber eine Position an. Für diese Position braucht es eine Leistung X, die besteht aus all dem plus aufzuwendender Lebenszeit, gemeinhin bezeichnet als Arbeitszeit. Dagegen steht eine Entlohnung.

Vor einigen Jahren war ich in einem griechischen Lokal essen. Als altgedienter Gastronom saß ich 'kraft Stallgeruch' mit dem Chef beisammen und habe ihm meine Eindrücke geschildert — er hatte erst kurz eröffnet. Ich habe das ehrliche, hohe Lied auf das Schwertfischsteak gesungen und ihn gebeten, dem Koch meine Begeisterung mitzuteilen.

»Wieso soll ich ihn dafür loben, dass er das macht, wofür er bezahlt wird: tolles Essen kochen?« Selten hat ein Argument so schnell gewirkt. Er hatte recht.

Der Wert der Lebenszeit in Kumulation mit Ausbildung und Wissen und Erfahrung wird geschätzt und mit einem Preis versehen. Wert-Schätzung-Ende: Arbeitsvertrag.

Der Mitarbeiter leistet, wie ausgemacht und mit allem Recht dieser Erde hat, der Arbeitgeber ihm dafür das Gehalt pünktlich zu überweisen.

Alles darüber hinaus? Ist keine Wertschätzung mehr. Dass wir das, wofür wir unterschreiben, nach bestem Vermögen erfüllen, ist eine Selbstverständlichkeit, dafür braucht es keinen Klaps auf die Lob-süchtige Kindheitspartition unserer erwachsenen Festplatte.

Wertschätzung ist kein Sammelbegriff

Wenn ein Vorgesetzter, Teamleiter, Partner oder Gesellschafter einen Mitarbeiter zur Seite nimmt und fragt, warum er denn so schlecht aussehe, ob es zuhause Probleme gibt, dann ist das keine Wertschätzung. Das ist Fürsorge. Nennen wir das bitte so.

Das Problem dabei: Fürsorge ist ein Add-On. Da gibt es kein Recht darauf. Das ist frei-willig.

Ein nicht-fürsorglicher Chef ist kein A… Er sieht eben nicht, was los ist. Egal, wie sich die Situation des Mitarbeiters entwickelt: Der Mitarbeiter merkt sich das und wenn er woanders ein besseres Fürsorge(!)klima erlebt, wird er dorthin abwandern (wenn der Lohn ihn dort befriedigt). Oder: nichts passiert.

Der Chef gibt frei, weil das Kind krank und der Partner daheim schon auf dem Zahnfleisch kriecht? Das ist keine Wertschätzung, das ist Großzügigkeit.

Das Problem dabei — Spoileralarm: Großzügigkeit ist ein Add-On. Da gibt es kein Recht darauf. Das ist frei-willig.

Ein nicht-großzügiger Chef ist kein A… Er sieht eben nicht, was los ist. Egal, wie sich die Situation des Mitarbeiters entwickelt: Der Mitarbeiter merkt sich das und wenn er woanders ein besseres Großzügigkeits(!)klima erlebt, wird er dorthin abwandern (wenn der Lohn ihn dort befriedigt). Oder: nichts passiert.

Ein Choleriker als Vorgesetzter? Tscha.

Ungleichheit ist menschlich und wichtig

Alle Mitarbeiter sind wertzuschätzen — aha. Der eine, der die extra Meile geht — darf der jetzt nicht ein mehr an Zusprache erfahren?

Lob verdient man sich. Lob bekommt man nicht (geschenkt). Wer zur Arbeit erscheint, der macht, wofür er bezahlt wird. Dafür sollen schon die Fanfaren klingen? Das ist irre.

Wir kaufen ja auch nicht ein Paar Schuhe, das uns nicht gefällt, weil wir schon eines haben, das uns gefällt. Wir sagen nicht zu dem einen etwas Nettes, weil wir es zum anderen auch gesagt haben.

Wer uns unsympathisch ist, mit dem Essen wir nicht. Das ist normal.

Also, was soll der Quatsch am Arbeitsplatz. Wer macht, was er soll und nicht wertgeschätzt werden will, wer seine Ruhe will, für den ist Wertschätzung eine Zumutung. Nur: Wir fragen das gar nicht mehr ab.

Ein Vorgesetzter, der sich mit Menschen, die performen und sich nicht verbessern wollen, abmüht mit Förderungsappellen, der macht? Seinen Job nicht.

Denn die anderen, die wollen, die sind — wir kommen dazu — nicht besser, nur anders. Aber die sind für das Unternehmen interessanter. Also zu fördern. Die anderen performen und wollen ihre Ruhe — Zeit gegen Geld, vielleicht nicht sexy, aber zu respektieren.

Andersherum gibt es denn Irrsinn auch. Chefs, die für die Gehaltsgroßzügigkeit wertgeschätzt werden wollen, für den Kicker, den Rentensparer. Das sind Verhandlungs- und Mitarbeiterbindungsinstrumente, Punktum. Also: Zahlen und Lachen.

Wertschätzung ist nicht das gleiche wie Würde

Wer einen Mitarbeiter abwertet, als 'bezahlten Feind' bezeichnet, der ent-würdigt ihn. Das hat doch nichts mit Wertschätzung zu tun! Wer eine Frau als Risiko-Arbeitskraft wegen Kinderkriegens bezeichnet, dem gehört kein Vortrag über Wertschätzung, dem gehört eine aufs Maul — so von Mann zu Depp. Oder eine Anzeige, am besten die Kündigung.

Jedenfalls hat das mit Wertschätzung nichts zu tun. Das ist eine Frage der Würde (übrigens: Art. 1 Grundgesetz, gibt es schon länger als dieses Wertschätzungsblafasel).

Wertschätzung ist nicht das gleiche wie Respekt

Respekt verdient man sich. Respekt ist das Ergebnis von Reibung, von Konflikt, vom Ringen um unseren Platz.

Wer sein Team ernst nimmt, wer Meinungen stehen lässt, sein Gegenüber beim Wort nimmt — ständig, wohlgemerkt — der ist nicht zwingend beliebt, aber er wird meiner unmaßgeblichen Beobachtung und Erfahrung nach respektiert. Weil er berechenbar ist — so kann er anleiten und führen; dafür wird er immerhin bezahlt.

Meine Klienten schreien mich manchmal an «Du mit Deinen Worten!« Wenn dann zwei Wochen später das Personalgespräch so glattgelaufen ist, wie nie, dann ist das Grinsen umso breiter — klar, ich hätte statt das Beste herauszuholen auch wertschätzend sein können — und so gemeinsame Lebenszeit vergeuden. So entsteht aber etwas Besseres: Stolz beim Klienten, ein ökonomisch optimales Ergebnis, Vertrauen zwischen dem Klienten und mir und: Respekt. __Respekt mündet in Reputation. __Denn Respekt bedeutet, etwas zu tun, was andere so nicht tun, weil es unangenehm ist, jedoch bessere Outcomes erzielt.

Nennen wir die Dinge doch beim Namen

Wir wollen tolle Betriebsklimas, motivierte Mitarbeiter, robuste Charaktere. Damit die Leute nicht abwandern, damit der Spaltpilz der Meinungsunterschiede nicht überhandnimmt. Das dagegen eingesetzte Breitbandantibiotikum des HR wurde gebrandet mit Wertschätzung (zugegeben: klingt supercosy, weich, stromlinienförmig. Wie ein Zäpfchen — wo kommen die nochmal hin?). Wir wissen: desto breiter das Antibiotikum, des ahnungsloser …

Genau besehen ist das Etikettenschwindel und Missbrauch eines Wortes.

Wir wollen tolle Betriebsklimas, motivierte Mitarbeiter, robuste Charaktere. Damit die Leute nicht abwandern, damit der Spaltpilz der Meinungsunterschiede nicht überhandnimmt. Das sind richtige Ziele.

Warum setzen wir dann nicht auf die Werkzeuge und Haltungen, die zählen? Manchmal vielleicht, weil es so viel größer klingt wie ein Modebegriff. Es ist einfacher, toll zu finden, was modern ist, auch wenn wir keine Ahnung haben von Konsequenzen und Subtext.

Klar, es richtig machen ist nicht immer sexy, aber: Was zählt sind Resultate, nicht wie es sich anfühlt. Das wäre jedenfalls mein Anspruch an meinen Vorgesetzten.

Also, ran an die Arbeit. Mit den richtigen Tools. Meiner Erfahrung nach überholen alle Unternehmer, die die drei Basiselemente installieren und halten können, die Wertschätzer. Diese sind:

#Respekt: Respekt schätzt nicht. Respekt anerkennt. Respekt ist die Quelle von Reputation (Respekt-Geber) und Stolz (Respekt-Empfänger)

#Würde: Würde schätzt nicht. Würde ist bedingungslose Akzeptanz einer Person als Person. Das gibt Geborgenheit, Basis, Freiheit. Das überwindet Angst vor unsachlicher Ungerechtigkeit und Willkür.

#Leistung: Leistung schätzt nicht. Leistung verdient. Das, was ausgemacht ist. Das, was jemand wert ist. Leistung belohnt. Lohn motiviert, die Leistung zu wiederholen. Was sich erfolgreich wiederholt ohne zusätzliche Impulse, ist ökonomisch optimal.