Vereinbarkeit ist eine Chimäre, Nutzen ein Zauber


Luv ist die Richtung, aus der der Wind kommt und Lee diejenige, in die der Wind weht. 

Luv und Lee sind Teil eines Systems – dem Wind. Wenn sie "vereinbar" gemacht würden, wäre Flaute (in der dann ganze Besatzungen verhungern können). 

Wer aber mit Luv und Lee umgehen kann, die Zusammenhänge versteht, der kann dann zum Beispiel das tun, was mir jedenfalls viel Freude bereitet: Segeln. In Bewegung kommen. Gegensätze nutzen.

Auch Windparks gäbe es nicht, wenn der Ansatz wäre, Luv und Lee zu vereinbaren.

Vereinbarkeit sorgt für Stillstand.

Mit dem Auflösen von Gegensätzen entsteht Stillstand.

Zwischen Gegensätzen aber liegt die Chance auf Vorankommen, auf Freude, auf Erfolg, auf Wachstum.

Nutzen birgt Lebendigkeit

Viele wollen Beruf und Familie vereinbaren. 

(M)Eine erste Frage ist: wieso? 

Schon geht es los. Unglaublich viele Argumente, von denen viele Stechen, nämlich ins schlechte Gewissen. Aber keine erhalten etwas aufrecht, geschweige denn erschaffen sie etwas. Solche Argumente sind also nicht stichhaltig.

Wie soll denn eine solche Vereinbarkeit funktionieren? 

Das Kind liebt seine Eltern, möchte am liebsten den ganzen Tag kuscheln und spielen und Marmeladebrote (natürlich vegan) essen. 

Die Mitarbeiter und die Kunden, die finden 24/7 Verfügbarkeit des Unternehmers auch ganz großartig, weil vielleicht will der Kunde gerade gar nicht nach Hause gehen, weil sein Partner ihn verlassen hat usw. 

Wenn zwei so gegenläufige Interessen vereinbart werden sollen, kommt es zu irrwitziger Organisations- und Verteilungsakrobatik. Diese Akrobatik ist nichts als der – peinliche – Versuch, auf zwei Stühlen zu sitzen. Die Konsequenz ist regelmäßig, dass wir – mehr oder weniger elegant – auf dem Boden landen. Das ist dann (wenigstens) der Boden der Tatsachen.

Vereinbarkeit ist eine Chimäre – und keine gute! Das ist sicherlich herrlich unpopulär, ich habe aber die bescheidene Hoffnung, dass das nicht so politisch inkorrekt ist, dass ich deswegen zum Antichrist moderner Pädagogik oder Führungslehre erklärt werde. Denn es gibt ein sehr ungefährliches Alternativkonzept: Gegensätze nutzen. Bleiben Sie dran.

Schwächen ist keine Bereicherung, sondern Vergeudung

Wer anstrebt, Beruf und Familie vereinbare, schwächt beide Seiten. 

Denn dann mute ich meiner Familie gerade so viel zu, wie sie noch ertragen kann, damit ich den Kunden nicht verliere. 

Dem Kunden wiederum mute ich genau so viel Verzicht auf meine Befassung mit ihm zu, dass er mir nicht kündigt und den Rest bekommt dann meine Familie. 

Schon wenn ich das schreibe, bekomme ich diesen schalen Geschmack im Mund. Das macht doch keine Freude. Da fehlt das Salz, der Esprit, die Frische!

Gegensätze ziehen sich an, sie haben eine gewisse Gravitation und je nachdem, manchmal auch eine Attraktion.

Erfolg macht sexy

Nein, ich habe jetzt keine Nacktfotos im Kopf. Ich habe die Tatsache vor Augen, dass ein erfolgreicher Mensch etwas verkörpert. 

Irgendetwas muss er gemacht haben, weil er etwas erreicht, was andere nicht erreichen – umgangssprachlich Erfolg. 

Er ist vielleicht fleißiger oder schlauer oder integrer oder irgendetwas, irgendetwas anderes. 

Er hat aber Eigenschaften, die ihn etwas erreichen lassen, was andere nicht erreichen. 

Wenn ich jetzt einen bestimmten Lebensweg anstrebe, den ein anderer erfolgreich bestreitet oder durch seinen Erfolg unterstützen kann, dann ist solch ein Mensch für mich attraktiv. Anziehend. Und wenn wir dann von der Liebe reden, dann ist das Anziehende eines Tages ausgezogen – sexy, oder?

Jeder geschätzte Leser, der jetzt im moralischen Autovervollständigen Erfolg mit Geld gleichsetzt – think again, sunshine! 

Erfolg ist auch, gelassener zu sein als andere. Erfolg ist auch, ein Team sympathischer als andere zu führen. Einen bereichernden Freundeskreis zu haben, obwohl jemand auch das arbeitet, was wir alle anderen wegschaffen. Erfolg ist auch, fröhlich zu sein, obwohl jemand gerade alles verloren hat, wer nach der Scheidung nicht mit Hackschrot auf das Facebook-Profil seines Expartners schießt.

Nutzen von Gegensätzen erzeugt Glück 

Was also soll dieses ganze, moralisch aufgeladene hin und her, dass der Arbeitgeber oder der Kunde sich so übergewichtig auf meine Vergleichsbalance setzt und ich deswegen gefälligst ein schlechter Partner, Freund, Gesellschaftsteilnehmer sein soll? Genau: Ablenken. Den Lebenskurs ablenken in den Hafen der Konzeptverkäufer, a.k.a. Glücksversprecher, Harmoniehersteller – ich nenne sie auch Rattenfänger. 

Nobile officium: Es gibt ganz großartige Seminaranbieter und Menschen, die anderen in schweren Zeiten, in harten Phasen oder als Wegweiser zu Lebenszielen verhelfen wollen und können. Auch für diese schreibe ich diesen Beitrag. Denn all die tun genau das, worum es geht: durch tolle, gerne auch sanfte Töne erläutern, dass es darum geht, klarzukommen – also mein Ziel nach Anerkennung zu vereinbaren mit der Realität, dass mein Partner mich demütigt. Das ist nicht diese künstliche Vereinbarkeit! Das ist die Anleitung zur Selbstliebe, zur Lebenskompetenz. Leider vertextlichen das einige dieser großartigen, menschenzugewandter Anbieter und Kollegen nicht trennscharf genug und schwächen damit ihre großartige Arbeit.

Richtig ist: Eine gute, private Lebenssituation ist ein Treiber.

Richtig ist auch: Eine gute, berufliche Lebenssituation ist ein Treiber.

Falsch ist ganz bestimmt: Das schließt sich aus. 

Natürlich sieht das Hamsterrad von innen auch aus wie eine Karriereleiter – das hat doch mit Beruf und Familie nichts zu tun. Das Hamsterrad ist aus sich heraus dumm und unökonomisch, da braucht es keinen Hinweis auf das Privatleben. Das macht ein Seminar nur attraktiver, sicher nicht gehaltvoller. Denn:

Wenn-1: Jemand entscheidet sich für eine gewisse Zeit (zum Beispiel nach einer langen und nicht gut geendeten Beziehung) ganz bewusst, Single zu bleiben. Warum denn nicht? 

Ist dann die Überstunde, mit der dieser jemand vielleicht diesen einen, besonderen Urlaub erarbeitet, um dort zur Ruhe zu kommen und über sein Leben nachzudenken, schlecht, eine Unvereinbarkeit? Opfert er dann dem schnöden Mammon das Liebesglück, weil er nicht sofort wieder in den einschlägigen, mehr oder weniger günstigen Dating-Plattformen sein Konterfei den Eitelkeiten aussetzt?

Wenn-2: Jemand schließt mit seinem Partner einen guten Pakt, wo man gemeinsam in drei Jahren sein will. Vielleicht für ein Jahr ein Sabatical, das mehr beinhaltet, als vier Portionen Tomatensuppe pro Tag. Was muss ich dann jetzt zwischen Beruf und Familie vereinbaren? Was ist dann falsch? 

Die Mogelpackung

Vereinbaren ist ein fortlaufender, immerwährender Prozess (des Wahnsinns), der sich erstaunlich einfach verkauft, weil es so leicht ist, da ein schlechtes Gewissen hineinzuwürzen.

Das Gegenangebot

Was hingegen wäre, wenn ein Ziel die Motivation, der Treibstoff (sogar CO₂-neutral) sein dürfte, für jeden, der dieses Ziel toll findet. Wenn dieses gemeinsame (nicht: vereinbarbarrbarrrbrrrr) Ziel, mit dem Partner, vielleicht der Familie, ein ganz bestimmtes Leben zu führen, jeden motiviert, schlicht sein Bestes zu geben, jeden Tag. Mit Begeisterung und einem Lachen. 

Was entsteht jetzt, wenn dieses Vereinbarkeit-Konzept wegfällt? 

Jetzt befeuert unser privates Ziel unsere berufliche Leistung und wir werden so kraftvoll wie möglich alles dafür tun, der beste Unternehmer, Abteilungsleiter, Sachbearbeiter, Hausmeister, Student, Schüler, Sohn oder Tochter zu sein, der wir sein können. Was.ist.daran.schlecht?

Zwischenfrage

Wer also sitzt attraktiver am Besprechungstisch, vor der Videokamera oder auch einfach nur im Flieger? 

Derjenige, der aus einer Situation des Mangels und der konstruierten Unvereinbarkeit halt jetzt das tut, was er tun muss oder 

der, der das, was jetzt kommt, tun will, mit dem Besten seiner Möglichkeiten, um das zu erreichen, was er erreichen will.

Konstrukte und Lüge 

Ich bin überzeugt davon, dass es nicht um Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit gehen kann. Tod und Leben sind unvereinbar, Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Luv und Lee, Mann und Frau (jaaaaa, Gender), Krieg und Frieden.

Der anstrengende Teil ist, dass wir uns das eine – Frieden – wünschen, und unsere Birne (umgangssprachlich Hirn) es nicht aushält, dass wir das nur wissen, weil wir wissen (weil es ihn halt gibt), dass Krieg schrecklich. Diese Gegensätze sind Realität und damit klarzukommen, bezeichnet mancher als: Lebenskompetenz.

Wenn ich mit dem Leben nicht klarkomme, dann schaffe ich mir Traumschlösser, Luftschlösser, Scheinrealitäten und Scheinheiligkeiten – das nennt mancher dann auch: Lebenslüge.

Ich bin die letzten 45 Jahre gut damit gefahren, Gegensätze zu akzeptieren, sie auszuhalten. Denn das hat mich befähigt, diese Gegensätze zu nutzen, sie so zueinander zu stellen, dass sie mich dahin bringen, wo ich hin will. 

Kann ich die Realität von Gegenseitigem und Gegensätzlichem akzeptieren, kann ich das nutzen. Dann kann ich mit dem Wissen, wie die Segel stehen müssen, Luv und Lee dazu nutzen, an mein Ziel zu gelangen. 

Wenn ich nutze, statt mich darin zu verlieren, mich im Unmöglichen abzuarbeiten (= Utopie), bringt es mich dorthin, wo ich sein will.

Ich finde das deutlich befriedigender und sinnstiftender, als auf der Stelle zu sitzen und daran zu zerbrechen, es nicht hinzubekommen, etwas zu vereinbaren, was schlicht gegensätzlich ist. 

Die das versuchen, sind dann meistens auch die, die keine Verträge verhandeln können, weil vorhanden Konflikt ist und kein Schmusen um den faulen Kompromiss.

Der Zauber des Nutzens

Der Zauber des Nutzens

Nutzen funktioniert und das sehr menschliche beim Nutzen ist, es macht Mühe. 

Essen nutzt – Nahrung lässt mich überleben. Mein Körper benötigt Nahrung, um zu am Leben zu bleiben. Essen macht auch Mühe, meine Kaumuskulatur muss – Fleisch oder Soja – arbeiten, damit mein Körper den Brennstoff bekommt, den er verstoffwechseln kann. Ihr Körper übrigens auch.

Praxiszauber

Die frustrierte, vermeintlich vereinsamte Partei 1 (geschlechterneutral ausgedrückt – gemerkt?) beklagt sich bei sich selbst und mir bitterlich über Aufmerksamkeitsdefizite beliebiger Art in ihrer Beziehung. Nach einer Stunde KommunikationsBJJ kommen wir durch alles Ausreden und Rechtfertigungen dort an, wie man denn aus der Beziehung (oder aus der Arbeit) Kraft schöpfen (Nutzen!) könnte. Jetzt, jetzt entzündet sich in den Augen auf einmal wieder dieses eine, besondere, kleine Feuer. 

Dieses Feuer, das noch weiß, dass die Dinge einander antreiben und beschleunigen, wachsen lassen und um sich greifen können. 

Schlagartig kommen dann Rückmeldungen, was für ein großartiges Gespräch es in der Firma gab. Oder wie bereichernd anders auf einmal die Beziehung ist. Etwa weil einer von beiden dem anderen sagen konnte, dass er/sie sich lange nicht mehr dafür bedankt hat, dass das gemeinsame Leben dieser in Vergessenheit geratene Antrieb war und ist, draußen zu bestehen. 

Zwei Karteikarten – ein Ergebnis

So in der dritten Begegnung mit Klienten, die mich mit dem sehr populären und ebenso unerreichbaren (utopischen) Ziel aufgesucht hatten, irgendetwas vereinbart zu bekommen, liegen dann zwei Karteikarten. 

Auf der einen steht Vereinbarkeit, auf der anderen steht Nutzen. 

Dann müssen sich die Klienten entscheiden. Eine Karteikarte dürfen sie mitnehmen, eine müssen sie zerreißen. 

In den vergangenen zwölf Jahren hat nicht ein Klient (!) die Vereinbarkeit mitgenommen, die lag immer dort, wo sie hingehört: im Müll.

Vereinbarkeit ist ein Konzept, an dem nur derjenige verdient, der es konzeptionell vermarktet. Wer aus seinem Unglück einen Weg sucht, der Chimäre Vereinbarkeit begegnet und ihr folgt, der steht still, brennt manchmal aus und bleibt unglücklich.

Alle meine Klienten haben (f.r.e.i.w.i.l.l.i.g.) den Nutzen mitgenommen. Manche haben die Karte am Nachttisch liegen (solche Fotos rühren mich dann sehr). Nutzen kostet Kraft, Nutzen kostet Hirnschmalz. Dafür bekommen wir Fortschritt. Fortschritt in die Richtung, wo wir hin wollen.

Nicht umsonst heißt es: Nutze den Tag.